Bensersiel 7/17
“Gerrit-Teggen Müürensteen geht ins Land der Alemannen als Botschafter seines Herrn, eines reichen Bürgers. Dieser, sein Herr, war durch Unternehmungen, die Schiffe und fremde Länder betrafen, sehr reich geworden und glich darin dem Adel, wollte jedoch seinen Reichtum nur bedingt und seine Person am liebsten gar nicht zur Schau stellen. Gerne sah er seinen Namen in Erscheinung treten und auch war er nicht scheu, sich im Stadtrat vernehmlich zur Sache seiner neuen Klasse zu äußern. Doch war die Zeit gekommen und er betrat die heimlichen Gemächer, sollte ihn dort niemand weiter stören.
Hat die Person des öffentlichen Interesses das ‘für-sich-sein’ des Privatmannes entdeckt, bleibt der süße Genuss als Stachel im fleischigen Leben der öffentlichen Person zurück. Den Tag über sehnt sie sich fortan nach dem Privaten, und diese Sehnsucht verleidet ihr die Freude an der Arbeit, und diese, so merke dir, ist nichts weniger als Gottesdienst.”
So sprach Erwin Kautschurat, seit vier Jahren im mittleren Management der Firma Kranwagen GmbH tätig. Der andere Mann im Büro, Gerhard Ziegel, der dem Erwin unterstellt war, erfuhr dergestalt von seiner Versetzung an die Geschäftsstelle Baden Württemberg. Er zeigte verhaltene Begeisterung für seine Sendung.
“Danke Erwin, ich verstehe, Du willst mich nochmal so recht ins Protestantische tunken, ehe ich im Süden die katholische Faulheit anzunehmen drohe. Vorbild will ich sein, allen auf der Arbeit, und ich werde meine Tugend auch privat zu schützen wissen, mich an keinem Karneval oder dergleichen je beteiligen.”
“Spotte meiner nicht, Gerrit, man wird dich prüfen. Im Namen der Geselligkeit versuchen abzuhalten. Dein Unternehmergeist muss wach bleiben, sich verteidigen gegen andere Interessenlagen. Du musst den Einheimischen den für uns günstigen Tauschhandel beibringen.”
Gerd bekam gerade eine Bestellung rein. Email: Ein Kranwagen, morgen 8:45 in die Högerstraße 11, zwecks Aufstellen eines Weihnachtsbaums. Danke, Ihr Praktiker Baumarkt.
“Gerd, jetzt sieh mich auch an, wenn ich mit dir rede.”
“Entschuldige Erwin.”
“Gerd, schon dein Vater war Kranwagenverleiher, dein Großvater auch und dein Urgroßvater hat mit der Erfindung des Seilzuges zu allem die Grundlage erschaffen.”
“Nein, mein Vater ist arbeitslos und fährt ehrenamtlich Behinderte zur Arbeit, mein Opa war bei der Wehrmacht und ist dabei geblieben, und von meinem Urgroßvater weiß ich nur, dass er tot ist, was soll denn dieses…”
“Theoretisch könnte er also den Seilzug erfunden haben?”
“Nein, Nein, Erwin. Du willst, dass ich nächsten Monat nach Sindelfingen fahre, um die Kollegen dort in die neue Software einzuarbeiten. Iss gut, mach ich, aber hör jetzt auf mit dem Scheiß.”
Erwin nickte, setzte sich enttäuscht an seinen Schreibtisch, und beim Blick hinaus auf die See wich die Sehnsucht nach dem Abenteuer. An ihrer Stelle klaffte Wehmut, sonst nichts.
Das war vor dem Zusammenbruch der Börse 2008. Heute weiß man, Erwin wollte zu viel. An die Stelle seiner Krise trat eine allgemeine Dankbarkeit. Man war froh mit dem blanken leben davongekommen zu sein. Das Meer kommt alle sechs Stunden zurück, zwar nicht für alle, und nach sechs Stunden geht es wieder weg, aber niemand will die tröstende Qualität der Metapher riskieren.